Erläuterungen
zum Ehninger Altar
Aus
dem Katalog der Staatsgalerie Stuttgart (Seiten 207 und 209)
Der
Künstler: "MEISTER DES EHNINGER ALTARS"
Benannt
nach dem Herkunftsort des Altarwerkes in der Stuttgarter Staatsgalerie.
Um 1475/80vermutlich am Hofe der Pfalzgräfin Mechthild in Rottenburg
am Neckar tätiger, in Löwen bei Dieric Bouts d.Ä. ausgebildeter
schwäbischer Maler. Nach Friedländer (1925 und ²1968)
ist der Meister ein süddeutscher Maler, »der sich zu Dieric
Bouts verhält wie Herlin zu Rogier« nach Fleischhauer (1933)
stammt er vom Bodensee. nach Panofsky (1953) aus Ulm; Julius Baum (1923)
und Friedrich Winkler (1927) sehen in ihm einen Niederländer. Bruno
Bushart (1959) vermutet den »Sitz seiner Werkstatt eher in Rottenburg,
der Residenz seiner Auftraggeberin, als in Stuttgart«, wo ihn Stange
(1957) lokalisieren möchte. Unter der Pfalzgräfin Mechthild,
die mit besonderem Eifer die Künste und Wissenschaften förderte,
ist Rottenburg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einem
beachtlichen Zentrum der Kunst geworden (s. auch unten S. 252, 258).
Das
Werk: "EHNINGER ALTAR"
Mischtechnik
auf Fichtenholz mit leinwandüberzogenen Vorderseiten.
Mitteltafel
146 x 161 cm; Flügel je 146 x 73 cm (lichtes Maß).
Aus
der Pfarrkirche St. Maria in Ehningen bei Böblingen.
Erworben
1903.
lnv.Nrn.
1125 a-e
Entstanden
um 1476.
Stiftung
der Pfalzgräfin Mechthild. deren Wappen sich auf der Engelstafel der
Verkündigung befindet: Es zeigt heraldisch rechts den »Bindenschild«
ihres zweiten Gemahls, Albrechts VI. von Österreich († 1463), links
ihr angestammtes pfälzisches Wappen mit Rauten und einem steigenden
Löwen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um den ehemaligen Hochaltar
des 1476 fertiggestellten netzgewölbten Chores der Ehninger Pfarrkirche,
die zum Witwenbesitz der Pfalzgräfin gehörte.
Der Altar
ist kein Schreinaltar, wie er damals in Oberdeutschland üblich war,
sondern ein in allen Teilen gemaltes Triptychon nach niederländischem
Vorbild. Die »Auferstehung« der Mitteltafel und die »Verkündigung«
auf den Außenseiten der Flügel finden sich - erstere fast übereinstimmend,
letztere sehr ähnlich - in kleinformatigen, der Bouts-Schule zugeschriebenen
Gemälden wieder (vgl. Friedländer, a.a.O., ²1968, und Schöne,
a.a.O., 1938). Dieser Sachverhalt gestattet die Annahme, daß es sich
beim Ehninger Atar um eine getreue Wiederholung eines (heute verlorenen)
Retabels des niederländischen Malers Dieric Bouts (1410/20-1475) handelt.
Auch die Vermutung, daß der Meister ein am Hofe der Pfalzgräfin
tätiger süddeutscher Maler war, hat sich inzwischen in der Forschung
durchgesetzt. Anhaltspunkte hierfür liegen auf der Hand: die Holzart
des Bildträgers (Fichte), der Herkunftsort, das Wappen der Stifterin,
die im Vergleich zu erhaltenen Altären von Dieric Bouts stärkere
Betonung der Breitendimension, die größere Buntheit der Palette
anstelle eines schimmernden, mit Atmosphäre durchsetzten Zusammenklangs
der Farben des Niederländers. (Das ursprüngliche Blau ist durch
chemische Veränderung heute verfärbt).
Geschlossen
zeigt
der Altar die Verkündigung an Maria, die den Beginn der Erlösung
verheißt. Alles im Bilde (linker Flügel)
ist auf Maria bezogen; alles was sie umgibt ist Bedeutungshaft. Sie kniet
vor einer spitzbogig überwölbten Fensternische mit einem reliefierten
Retabel als Hausaltar, auf dem zwei Propheten des Alten Bundes dargestellt
sind: Moses, der Stifter der jüdischen Religion, mit den Gesetzestafeln,
und Jesaja, der erste der vier großen Propheten des Alten Testamentes,
der die Geburt des lmmanuel durch eine Jungfrau vorhergesagt hat (Is 7,14).
Vor der Altarnische steht eine Truhe, die »arca testamentis«,
die Bundeslade, die unter anderem die Gesetzestafeln barg wie Maria in
ihrem Leib den Gottessohn (vgl. P. Strieder, a.a.O.). Auf dem geschlossenen
Deckel liegen Kissen und darauf ein geöffnetes Buch, das Neue Testament.
Der Text darin bezieht sich auf den dargestellten Augenblick: Ecce ancilla
Domini... (Lk 1, 38 ff.). Mit diesen Worten wendet sich die mit dem Strahlennimbus
ausgezeichnete Jungfrau Maria, im Gebet innehaltend, dem Engel Gabriel
zu. Über ihr schwebt die kreuznimbierte Taube des Heiligen Geistes.
Auf dem Thronsitz liegen drei Kissen als Hoheits- und Trinitätssymbol.
Auch die Gegenstände im Wandbord darüber - eine geschlossene
Spanschachtel, durchsichtige Glasgefäße, geschlossene Bücher,
eine Sanduhr - verweisen auf Mariens Tugenden der Jungfräulichkeit,
Weisheit und der Temperantia (Mäßigkeit); die weißen Lilien
in der Henkelvase hinter Maria versinnbildlichen ihre Reinheit.
Die kompositionell
absichtsvoll auf beiden Flügeln verlegten Bodenplatten mit geometrischen
Mustern sind Teile des bedeutungshaften Bildgefüges.
Der
Kreis als Sinnbild des Vollkommenen, das Quadrat als Symbol für die
Welt und das irdische Leben in das Christus hineingeboren wird. Fünfmal
kehrt die Raute über zwei Dreiecken im Quadrat wieder. Sie ist nach
Lurker »in speziell chritlichem Sinne Symbol der Inkarnation Christi«
(a.a.O., ³1991, S. 231 f.).
Auf
dem rechten Flügel, in dem sich das
Zimmer Mariens fortsetzt, überbringt der geflügelte, priesterlich
gewandete Engel in schwebend-kniender Haltung die Botschaft. Das beziehungsvolle
Kreuzstockfenster rechts öffnet sich in die Landschaft, die
offene Tür hinter ihm führt in ein geordnetes Gärtchen,
einen auf Maria bezogenen hortus conclusus, Symbol ihrer Unberührtheit,
den ein Kreuzgang umschließt. Im Bogenfeld über der Tür
erscheint im Relief der Sündenfall, die Verführung der ersten
Menschen, vom Baum der Erkenntnis zu essen. In der Verkündigung des
Engels aber liegt bereits die Erlösung des Menschen aus seiner Sündhaftigkeit
durch Christus. Derart wird die Beziehung zwischen dem Moses des Alten
Testamentes auf der Marientafel, der das Gesetz von Jahwe, dem Gott Israels,
empfangen hat, und der Verheißung des Neuen Testamentes hergestellt.
Im
geöffneten Zustand ist die Auferstehung Christi die
Hauptszene. das zentrale Geschehen. Alle anderen auf dieser Mitteltafel
dargestellten Ereignisse nehmen hierauf Bezug. Sie gelten als Beweis der
leiblichen Auferstehung des Herrn: rechts im Mittelgrund die drei Frauen
auf dem Weg zum Grab, links - ebenfalls im Mittelgrund - die Begegnung
zwischen Maria Magdalena und dem Auferstandenen als Gärtner.
Auf den
Innenseiten der Flügel sind weitere Szenen mit Geschehnissen, die
sich nach der Auferstehung begaben, dargestellt: links
die
Erscheinung des auferstandenen Christus vor seiner Mutter, in
der Ferne Maria inmitten der Apostel
und oben der Auferstandene
bei der Himmelfahrt; auf dem rechten Flügel
ist dargestellt, wie Christus nach der Auferstehung dem Ungläubigen
Thomas erscheint, im Hintergrund das Pfingstwunder, bei dem
Maria wieder eigens herausgehoben ist.
Literatur:
Auf die zahlreichen Literaturangaben in der Originalschrift wird hier verzichtet.
Gez.
E.R.
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Ehninger Altar
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